Inhalt

Ein fiktiver Herausgeber berichtet, wie ein Mann von etwa fünfzig Jahren in dem bürgerlichen Haus seiner Tante eine möblierte Mansardenwohnung mietet und dort ein ungeselliges Leben ohne Beruf und tägliche Pflichten führt. Dieser Harry Haller, der sich selbst als "Steppenwolf" bezeichnet, besucht Bibliotheken und Konzerte und ist eines Tages wieder aus der Stadt verschwunden. Zurück läßt er ein Manuskript, das er während seines Aufenthaltes in der Stadt geschrieben hat. Harry Hallers Aufzeichnungen Sie tragen das Motto "Nur für Verrückte" und sind in der Ich-Form geschrieben. Wir erfahren zunächst einiges von Hallers früherem Schicksal : sein Familienleben ist schon vor langer Zeit zusammengebrochen, denn seine Frau war geisteskrank geworden und er mußte sich von ihr trennen; als Schriftsteller hat er sich nationalistischen Strömungen entgegengestellt und ist mit Haßtiraden beschimpft worden. Er selbst sieht sich als "Steppenwolf" und ruppiger Eremit inmitten einer Welt, von deren Zielen er keines teilt, von deren Freuden keine zu ihm spricht,; er vergleicht sich mit einem Tier, das seine Heimat, Luft und Nahrung nicht mehr findet, weil es sich in eine ihm fremde und unverständliche Welt verirrt hat. Eines Tages sieht Haller an einer sonst glatten grauen Mauer ein "keines hübsches Portal mit einem Spitzbogen" und über dem Portal erscheint ein helles Schild, auf welchem mit Lichtbuchstaben die Worte "Magisches Theater. Eintritt nicht für jedermann" aufleuchten. Auf dem regennassen, spiegelnden Asphalt entziffert er später ein paar farbige Lichtbuchstaben und liest "Nur für Verrückte!" Aber plötzlich ist alles wieder verschwunden. Als er am selben Abend wieder an dieser mauer vorbeikommt, kann er nichts mehr von dem Tor und von den Lichtbuchstaben entdecken. Doch er begegnet einem Mann mit einem Bauchladen und auf dem Schild, das dieser als Standarte bei sich führt, liest er: "Anarchistische Abendunterhaltung! Magisches Theater! Eintritt nicht für jed . . . " Haller spricht den Mann mit dem Bauchladen an, doch dieser läßt sich in kein Gespräch ein, sondern reicht ihm ein Büchlein und verschwindet. Zu Hause schaut sich Haller das auf schlechtem Papier gedruckte Jahrmarktsbüchlein an. Haller liest es mit wachsender Spannung in einem Zuge. Es ist der Traktat vom Steppenwolf. Nur für Verrückte Haller findet darin zu seiner eigenen Überraschung eine psychologische Analyse seiner eigenen Schicksalsproblematik. Der Steppenwof, so sagt es der Traktat, steh, seiner eigenen Auffassung zufolge, gänzlich außerhalb der bürgerlichen Welt, er kenne weder Familienleben noch sozialen Ehrgeiz. Mit Bewußtsein verachte er den Bourgeois und sei stolz darauf keiner zu sein. Er lebe aber dennoch in mancher Hinsicht ganz und gar bürgerlich, er habe Geld auf der Bank und unterstütze arme Verwandte, er kleide sich zwar sorglos, aber doch immer anständig und unauffällig, er suche mit der Polizei, dem Steueramt und ähnlichen Mächten in gutem Frieden zu leben, lebe also niemals in den Provinzen, in denen keine Bürgerlichkeit mehr existiert. Der Traktat gewährt Haller Aufschluß über seine eigene Wesensspaltung in Göttliches und Teuflisches, Glücksfähigkeit und Leidensfähigkeit, in Wolf und Mensch. Solche Zweiteilung freilich, heißt es weiter, sei eine grobe Vereinfachung; tausend Seelen seien vielmehr in seiner Brust umschlossen. Das Leben eines Menschen schwinge nicht nur zwischen zwei Polen, "etwa dem Trieb und dem Geist, oder dem Heiligen und dem Wüstling, sondern es schwingt zwischen tausenden, zwischen unzählbaren Polpaaren." Dem Steppenwolf stellt der Traktat den Bürger gegenüber und schildert ich als "ein Geschöpf von schwachem Lebensantrieb, ängstlich, jede Preisgabe seiner selbst fürchtend, leicht zu regieren. Er hat darum an Stelle der Macht die Majorität gesetzt, an Stelle der Gewalt das Gesetz, an Stelle der Verantwortung das Abstimmungsverfahren." Diese schwache und ängstliche Wesen Bürger könne sich eigentlich nicht halten. Warum es aber niemals untergeht und zuzeiten sogar anscheinend die Welt beherrscht, warum das Bürgertum lebt, stark ist und gedeiht, diese Frage beantwortet das Traktat lakonisch : "Wegen der Steppenwölfe". Die Konfrontation mit dem eigenen Ich, verstärkt durch ein eigenes Gedicht, das er früher einmal geschrieben hat, bringt Haller in Selbstmordstimmung. Noch oft sucht er vergebens nach dem Mann mit dem Bauchladen und nach der alten Mauer mit Tor und Lichtreklame. Da lernt er eines Abends in einem Vorstadtswirtshaus eine seltsame Prostituierte kennen. Sie, deren Name das Femininum von Hesses eigenem Vornamen ist, führt ein unkonventionelles Leben. Sie redet ihm die Selbstmordgedanken aus und führt ihn in ihre eigene unkomplizierte Welt ein. Sie zeigt ihm die Welt des Tanzes und der Jazzmusik, durch sie macht er die Bekanntschaft mit der Prostituierten Maria, die ihm viele schöne Liebeskünste beibringt, wie es einst Kamala mit Siddhartha getan hat. Durch sie lernt er den Saxophonisten Pablo kennen, in dessen magisches Theater er nach einer stürmisch verlebten Ballnacht durch einen Opiumrausch versetzt wird. Hier im magischen Theater hält ihm Pablo einen Spiegel vor, dessen Bild Harry auf Pablos Geheiß hin auslachen muß, worauf der Spiegel plötzlich grau und undurchsichtig wird. Nach dieser Vernichtung seiner eigenen Persönlichkeit stellt sich Harry vor einen anderen Spiegel und aus dessen Bild lösen sich zahllose Harrys heraus, alte und junge, Abbilder seines eigenen Ich. In Pablos magischem Theater läuft Harry an vielen Türen vorbei und liest die zum Eintreten verlockenden Aufschriften. Er kommt in ein Reich ohne Zeit und Realität. In phantastischen Bildern erlebt er eine Maschinenschlacht und die grausame Vision eines zukünftigen Krieges, eine Welt der ungezählten in ihm ruhenden Lebensmöglichkeiten. Er erfährt die "Anleitung zum Aufbau der Persönlichkeit" und erlebt die "Wunder der Seppenwolfdressuur". Er hört Mozart kommen und erlebt mit ihm den letzten Akt des "Don Giovanni", er hört Mozart lachen, das Lachen der Unsterblichen, eine Klang aus der "ewigen Gegenwart." Noch aber hat Harry diese Befreiung nicht erlangt. Er besudelt diese phantastische Bilderwelt. Als er Hermine und Pablo beieinander liegen sieht, ersticht er aus Eifersucht ( die gespiegelte ) Hermine mit einem ( gespiegelten ) Messer. Das Lachen der Unsterblichen ist die große Strafe für Harry. Mit Pablo, der Hermine nimmt, zum Spielfigürchen verzwergt und in seine Westentasche steckt, sitzt Harry wenig später wieder zusammen, raucht noch eine von den süßen, schweren Zigaretten und weiß, daß er dieses Figurenspiel einmal besser spielen wird.

Martin Pfeiler aus : Hermann Hesse Der Steppenwolf Siddhartha Beyer Verlag

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